THE JOY OF PAINTING, GMÜR, BERLIN


Entschuldige, dass ich Dir erst jetzt schreibe. Ich bin seit Monaten in einer Umzugsphase ohne Atelier, rund um die Uhr mit der Renovierung beschäftigt.
Eine Rundmail mit meiner neuen Adresse ist auch noch nicht raus. Es verzögert sich alles.

Als mich die Kühle des Nordens aus Hamburg nach Berlin gepustet hat, wußte ich nicht, dass ein Berliner Anfang nicht um eine Baustelle herumkommt. Ich habe nicht vermutet, dass ich hier in einem Sumpf von Tätigkeiten versinke, die mich als Malerin in eine schwer zumutbare Blockade versetzen, Zeit rauben und von all dem abhalten, was ich mal war und wieder werden möchte. Ich drehe mich um die eigene Achse, an diesem Ort, wo gerade seit unzähligen Tagen eine Atelier-Wohnung entsteht.
Es ist schwer zu begreifen, aber diese Baustelle entpuppt sich als ein Fass ohne Boden. 
Erst Mitte April kamen die polnischen Fliesenleger, wie Rettungsritter, die das Schlachtfeld der Lichtenberger Vorgänger übernahmen. Meine Landsmänner sollten die verwüstete Landschaft erobern und die Spuren der Anderen verwischen. Erst danach konnte ich mit dem Anstrich loslegen. Die Vorbereitung der Wände war mühsam. Ich bin noch nicht sehr weit gekommen mit all den Altbau-Ecken und Winkeln und der Tatsache, dass Kartonstaus den Aktionsradius stark beeinträchtigen. Du hast die Bestände des Ateliers gesehen... hier steht aber auch das verpackte Gut der Wohnung.
Im Flur schauten Kabel aus der Wand, da der Sicherungskasten unter Putz verlegt werden musste. Der Elektriker hat eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und die Mauer aufgehauen. Wegen der in den benachbarten Räumen stehenden Bilder, durfte er keinen Luftzug machen. Trotzdem sagte er mir, dass er es großartig findet, wenn jemand Künstler ist, da ein Talent eine wunderbare Sache sei. Er fragte, ob ich es mal probiert habe auf der Straße ein Passanten-Portrait zu malen.
Ich finde die Atelier-Wohnung wunderschön! Das ist sie auch... Nun ist aber diese Schönheit voller versteckter Spuren einer langen Misshandlung, die sie über verschiedene Renovierungsstadien der vergangenen Jahrzehnte erlitten hat. Unter all den bunten Farbschichten entdeckte ich eine willkürliche DDR-Phase mit Elektro-Installationen. Nach der Wende hat man dann eine Schnellsanierung gemacht und zu meinem Erstaunen eine Rauhfaser-Tapete verputzt. Wenn mich jemand fragt, ob ich eine Tapete oder keine Tapete habe, muss ich antworten, dass es eine Wohnung mit und ohne Tapete ist. 
Als ich die Tapete von der Küchendecke entfernte, merkte ich, dass sie einen Bogen die Wände runter macht und all die verputzten Wände verbergen ein großes "Fake", eine täuschende Kulisse. 
Hinter der Fassade kommen merkwürdige Sachen ans Tageslicht, die einen ins Staunen versetzen. Ich könnte stundenlang darüber schreiben, über all die menschlichen Fachkenntnisversagen, Handwerker ohne Wissen, die aber ein großes Maul haben, über einen verhaltensgestörten Hausbesitzer, der unter Druck einer Investorengruppe steht, die nicht investiert, aber eine Menge Kosten den Anderen verursacht und mit dem Ausbau der Dachgeschosse, das ganze Haus auf Trapp hält. Kaum drehe ich mich um, stehen wieder ein paar Affen im Hof, glotzen, fotografieren und lauern. 
Ich wollte Altbau und lebe jetzt in einem Haus mit Geschichte, Geschichten der vernachlässigten Bausubstanz und die Geschichten der kleinen und großen Haie, all den Gaunern, die um so ein Mietshaus kreisen, um von dem Boom des aufkommenden Stadtteils ein Stück Braten zu holen.
Nun ist meine persönliche Geschichte in diesem Stau der Ereignisse stehen geblieben, im Wirbel der täglichen Aufgaben und der großen Erwartung eines Anfangs in meiner absoluten Wunschstadt, die bekanntlich selbst eine riesige Baustelle ist.

Wenn ich gerade nicht auf der Leiter stehe, weil ich die Hand entspannen muss, dann schreibe ich viele Notizen. Es passiert so viel, dass ich kaum alles dokumentieren kann. Ohne das Haus zu verlassen, befinde ich mich in einem Universum, das im Kleinen die Gesetze der Gesellschaft spiegelt.
Ich träume seit Langem vom "normalen Alltag", muss mich aber sicher noch auf einen Monat des Ausnahmezustandes gefasst machen, bevor ich hier mein Atelier einweihen, Pinsel in die Hand nehmen und auch Gäste empfangen kann.
Ich habe meine Bilder seit Monaten nicht gesehen. Ich warte auf einen staubfreien Tag, um das Verhüllte auszupacken. Mitten im Kartonstau fühle ich mich selbst verpackt und eingekreist. Die Wohnung ist allgegenwärtig. Sie hat mich in einen eifrigen Rausch versetzt, in dem ich immer weitere restaurierungsbedürftige Details entdecke.
Ich wollte die Wohnung beziehen, damit ich hier malen kann. Die Wohnung hat mich verschlungen.
Seit Kurzem bin ich am Stuck zugange. Die Eier, die sich über die Decke zogen, waren keine Eier sondern feine Blätter, die in vier Harfen münden. Als ich sie neulich zufällig aufspürte, musste ich ein Gerüst anschaffen. Seitdem klettere ich drauf und schaffe es täglich fünfzehn Eier und eine Harfe freizulegen.

Magdalena Żyszkowska